Montag, 27. Dezember 2021

Nächste Ausfahrt: Digitalisierungsstrategie

Wie ich in einem früheren Post schon geschrieben habe, scheint mir die Verkürzung von "Digitalisierung der Universität" auf "Digitalisierung der Lehre" zu kurz gesprungen. Und dazu muss man nicht auf das Humboldtsche Ideal zurückgreifen, sondern sich schlicht und einfach anschauen, womit sich die Mitglieder einer Universität die meiste Zeit beschäftigen -- an vielen Universitäten ist es die Forschung. 

Sicher, die Professorinnen gehen (in Vor-Corona-Zeiten) mindestens einmal am Tag in den Hörsaal, die Mitarbeiterinnen bereiten Folien vor und betreuen Seminararbeiten, und das Sekretariat verkauft Skripten und nimmt Anträge auf Auslandsanerkennungen entgegen. Diese Tätigkeiten ändern sich nicht, von Semester zu Semester, von Tag zu Tag ein ähnlicher Ablauf. Hunderte solcher Vorgänge in einem Monat in einem Lehrstuhl, Tausende in einer Fakultät, Hunderttausende in einer Universität. Man könnte also auf die Idee kommen, dass diese (repetitiven) Tätigkeiten der Grund für die Existenz der Universität sind -- und könnte nicht falscher liegen.

Denn eigentlich treibt die Forscherinnen und Forscher die Suche nach dem Kreativen, dem Innovativen, der Erkenntnis. Die nächste Entdeckung, das Laborergebnis, die wissenschaftliche Diskussion, die Publikation ist das Mittel, mit dem man weiterkommt.

Wenn wir Digitalisierung nur als Mittel der effizienteren Durchführung des Bestehenden verstehen: wenn wir eigene Präsenzvorlesungen mit digitalen Videos ergänzen, Forschungsdaten statt auf eigenen Servern in einer nationalen Cloud speichern, MBA-Kurse global in englischer Sprache anbieten -- wo ist da die Strategie? Es ist eine digitale Erweiterung des Gleichen, ein Schritt in eine internationale Arena, deren Spielregeln wir verstehen müssen, bevor wir es sinnvoll nutzen können.

Durch die Digitalisierung ändert sich vieles -- auch für die Hochschulstrategie. Universitäten mit exzellenter, öffentlichkeitswirksamer Grundlagenforschung können Aus- und Weiterbildung in diesen Bereichen monetarisieren. Universitäten mit einem beeindruckenden Campus schaffen ein Zusammengehörigkeitsgefühl, welches Alumni noch nach Jahrzehnten inspiriert. Viele Forschungsergebnisse und Lehrinhalte transportieren sich über das Internet -- je nachdem, ob sich eine Hochschule als Sender oder Empfänger dieser Inhalte transportiert, muss sich die eigene Strategie anpassen. 

Man kann viel Geld für die Digitalisierung der Universitäten ausgeben; aber es sollte strategisch an der richtigen Stelle ausgegeben werden. Ich bezweifle, dass dieses Geld in der digitalen Lehre gut aufgehoben ist.

Leave the digital transformation of teaching behind you!

 As I wrote in an earlier post, shortening "digital transformation of the university" to "digital transformation of teaching" seems to me to fall short. And for that, you don't have to resort to the Humboldtian ideal, but simply look at what members of a university spend most of their time doing -- at many universities, it's research.

Sure, professors go into the lecture hall at least once a day (in pre-Corona times), staff members prepare slides and supervise seminar papers, and the secretary's office sells lecture notes and accepts applications for recognition of exchange. These activities do not change, from semester to semester, from day to day a similar procedure. Hundreds of such operations in a month in a department, thousands in a faculty, hundreds of thousands in a university. So you might get the idea that these (repetitive) activities are the reason the university exists -- and you couldn't be more wrong.

Because researchers are actually driven by the search for the creative, the innovative, the insight. The next discovery, the lab result, the scientific discussion, the publication is the means to get ahead.

If we see digital transformation only as a means of doing what we do more efficiently: if we supplement our own face-to-face lectures with digital videos, store research data in a national cloud instead of on our University servers, offer MBA courses globally in English -- where is the strategy there? It's a digital extension of the same, a step into an international arena whose rules of the game we need to understand before we can make sense of it.

Digital transformation is changing a lot of things -- including university strategy. Universities with excellent, high-profile basic research can monetize education and training in these areas. Universities with impressive campuses create a sense of belonging that inspires alumni decades later. Much research and teaching content transports itself over the Internet -- depending on whether a university transports itself as a sender or receiver of this content, its own strategy must adapt.

You can spend a lot of money on digital transformation of universities; but it should be spent strategically in the right place. I doubt that this money is well spent on digital teaching.

Translated with DeepL

Dienstag, 7. Dezember 2021

Digitalisierung und die Forschungsstrategie einer Universität

 Wenn es um "Digitalisierung" und "Hochschule" geht, ist die Überlappung meistens beim Begriff der "Digitalen Lehre" zu verorten. Es gibt viele Konferenzen und Workshops, Arbeitsberichte und Reports, Bücher und Zeitschriftenartikel über die Frage, wie digitale Lehre in der Zukunft zu gestalten wäre. Die Covid19-Pandemie hat der digitalen Lehre eine Beschleunigung verpasst, die ohnegleichen ist. Konzepte wie Flipped Classroom mit voraufgezeichneten kurzen Vorlesungseinheiten und anschließenden Präsenzübungen im Vorlesungssaal eignen sich besonders für eine hybride Lehre. Aus der Not eine Tugend machend, wurden sie von vielen Lehrenden ab dem Sommersemester 2020 umgesetzt -- nach einem Vorlauf von fast 20 Jahren, in denen diese Lehrformate zwar propagiert, aber nur langsam angegangen wurden.

Bei aller Begeisterung über diese Erfolgsgeschichte der digitalen Lehre wird aber häufig verdrängt, dass die Digitalisierung auch andere Handlungsfelder einer Universität betrifft.Gerade die Digitalisierung der Forschung ermöglicht viel Neues, kann aber auch bisherige vermeintliche Gewissheiten bedrohen. Genauso wie bei den MOOCs in der digitalen Lehre muss man hier aber genauer hinsehen und die strukturellen Veränderungen der Digitalisierung verstehen. Ab 2012 wurde die Ablösung von Universitäten durch die MOOCs postuliert, was mit gutem Grund bis heute nicht stattfindet -- aber die Erkenntnisse aus der Gestaltung von MOOCs haben durchaus einen positiven Effekt auf die aktuellen Flipped Classroom-Konzepte zur Bewältigung der Pandemie gehabt. 

In ähnlicher Art und Weise wird die Schaffung digitaler Forschungsinfrastrukturen zu Veränderungen führen. Eine globale Vernetzung in der Forschung ist seit dem Mittelalter üblich, Forschende sprechen, schreiben und lesen in der jeweiligen lingua franca der Wissenschaft (erst Latein, heute Englisch). Der erste Schritt war daher die Ausweitung der Kommunikationsreichweite und -geschwindigkeit durch Email, damit Forschende einfacher miteinander sprechen können. In und nach der Pandemie scheint dies gerade noch durch die Erweiterung wissenschaftlicher Konferenzen und Treffen in Präsenz durch digitale Formen zu werden, die keinen Reiseaufwand erfordern ergänzt zu werden.

Der zweite Schritt war die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen und eine schnellere Rezeption durch Open Publication auf Webseiten wie arXiv. Damit können Forschungsergebnisse fast in Echtzeit miteinander geteilt werden, ohne auf lange Publikationszeiten bei Wissenschaftsverlagen Rücksicht nehmen zu müssen. Wissenschaftliche Qualitätsbewertungen finden sich in den Kommentaren zu den Artikeln, der Impact der eigenen Forschung bemisst sich an den Lese- bzw. Downloadzahlen, die sehr einfach zu messen sind. Der Zugang zu dieser Art von Forschung ist unbeschränkbar - nicht durch die Budgets der Universitätsbibliotheken, nicht durch Wissenschaftsorganisationen oder Regierungen.

Der dritte Schritt wird eingeleitet durch die Schaffung von Forschungsinfrastrukturen wie der deutschen NFDI, der australischen RDI oder der amerikanischen CSSI. Hier können nicht nur Forschungsresultate abgespeichert werden, sondern Meßdaten, Umfrageergebnisse, Bilder, Texte und Grafiken. Dies erlaubt ein direktes gemeinschaftliches Arbeiten in kleinen oder großen Teams, wie bei der Zusammenstellung des ersten Bildes eines Schwarzen Loches. Die lokale Verortung der Forschenden tritt hierbei vollständig in den Hintergrund, außer für die Generierung der Rohdaten z.B. in einem Labor. Die Ergebnisse dieser Forschung erscheinen an einer beliebigen Stelle in der Welt der Wissenschaft und sind höchstens in einer langen Autorenliste mit der Affiliation (der Hochschule, an der die Wissenschaftlerin angestellt ist) in Verbindung zu bringen. Darüber hinaus passiert viel spannende Forschung durch eine Verbindung der Daten innerhalb der Infrastruktur, welche überhaupt nur möglich ist, wenn die Forschungsdaten das enge Korsett der eigenen Hochschule verlassen.

Diese drei Schritte, konsequent zu Ende gedacht, bedeuten einen immensen Bedeutungsverlust von lokalen Universitäten. Die Affiliation einer Wissenschaftlerin oder eines Wissenschaftlers trägt zu deren Renommee bei, ist aber für die tatsächliche Durchführung von Wissenschaft nur dort von Bedeutung, wo es um den Zugang zu physischen Forschungsmöglichkeiten wie Laboren, oder den Zugang zu exzellenten Studierenden geht. Hier geraten regional aufgestellte Hochschulen schnell an ihre Grenzen, denn der Wettbewerb um Köpfe und Budgets ist global. Mit der Ausnahme von wenigen spezifischen Forschungsressourcen gibt es aber auch keinen Grund für Forschende, einer Affiliation treu zu bleiben -- Labore und Studierende gibt es überall. Für Hochschulen ergibt sich daraus ein teuflischer Kreislauf in der Wissenschaftskonkurrenz, ohne dass ein positives Ende in Sicht scheint.