Wenn es um "Digitalisierung" und "Hochschule" geht, ist die Überlappung meistens beim Begriff der "Digitalen Lehre" zu verorten. Es gibt viele Konferenzen und Workshops, Arbeitsberichte und Reports, Bücher und Zeitschriftenartikel über die Frage, wie digitale Lehre in der Zukunft zu gestalten wäre. Die Covid19-Pandemie hat der digitalen Lehre eine Beschleunigung verpasst, die ohnegleichen ist. Konzepte wie Flipped Classroom mit voraufgezeichneten kurzen Vorlesungseinheiten und anschließenden Präsenzübungen im Vorlesungssaal eignen sich besonders für eine hybride Lehre. Aus der Not eine Tugend machend, wurden sie von vielen Lehrenden ab dem Sommersemester 2020 umgesetzt -- nach einem Vorlauf von fast 20 Jahren, in denen diese Lehrformate zwar propagiert, aber nur langsam angegangen wurden.
Bei aller Begeisterung über diese Erfolgsgeschichte der digitalen Lehre wird aber häufig verdrängt, dass die Digitalisierung auch andere Handlungsfelder einer Universität betrifft.Gerade die Digitalisierung der Forschung ermöglicht viel Neues, kann aber auch bisherige vermeintliche Gewissheiten bedrohen. Genauso wie bei den MOOCs in der digitalen Lehre muss man hier aber genauer hinsehen und die strukturellen Veränderungen der Digitalisierung verstehen. Ab 2012 wurde die Ablösung von Universitäten durch die MOOCs postuliert, was mit gutem Grund bis heute nicht stattfindet -- aber die Erkenntnisse aus der Gestaltung von MOOCs haben durchaus einen positiven Effekt auf die aktuellen Flipped Classroom-Konzepte zur Bewältigung der Pandemie gehabt.
In ähnlicher Art und Weise wird die Schaffung digitaler Forschungsinfrastrukturen zu Veränderungen führen. Eine globale Vernetzung in der Forschung ist seit dem Mittelalter üblich, Forschende sprechen, schreiben und lesen in der jeweiligen lingua franca der Wissenschaft (erst Latein, heute Englisch). Der erste Schritt war daher die Ausweitung der Kommunikationsreichweite und -geschwindigkeit durch Email, damit Forschende einfacher miteinander sprechen können. In und nach der Pandemie scheint dies gerade noch durch die Erweiterung wissenschaftlicher Konferenzen und Treffen in Präsenz durch digitale Formen zu werden, die keinen Reiseaufwand erfordern ergänzt zu werden.
Der zweite Schritt war die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen und eine schnellere Rezeption durch Open Publication auf Webseiten wie arXiv. Damit können Forschungsergebnisse fast in Echtzeit miteinander geteilt werden, ohne auf lange Publikationszeiten bei Wissenschaftsverlagen Rücksicht nehmen zu müssen. Wissenschaftliche Qualitätsbewertungen finden sich in den Kommentaren zu den Artikeln, der Impact der eigenen Forschung bemisst sich an den Lese- bzw. Downloadzahlen, die sehr einfach zu messen sind. Der Zugang zu dieser Art von Forschung ist unbeschränkbar - nicht durch die Budgets der Universitätsbibliotheken, nicht durch Wissenschaftsorganisationen oder Regierungen.
Der dritte Schritt wird eingeleitet durch die Schaffung von Forschungsinfrastrukturen wie der deutschen NFDI, der australischen RDI oder der amerikanischen CSSI. Hier können nicht nur Forschungsresultate abgespeichert werden, sondern Meßdaten, Umfrageergebnisse, Bilder, Texte und Grafiken. Dies erlaubt ein direktes gemeinschaftliches Arbeiten in kleinen oder großen Teams, wie bei der Zusammenstellung des ersten Bildes eines Schwarzen Loches. Die lokale Verortung der Forschenden tritt hierbei vollständig in den Hintergrund, außer für die Generierung der Rohdaten z.B. in einem Labor. Die Ergebnisse dieser Forschung erscheinen an einer beliebigen Stelle in der Welt der Wissenschaft und sind höchstens in einer langen Autorenliste mit der Affiliation (der Hochschule, an der die Wissenschaftlerin angestellt ist) in Verbindung zu bringen. Darüber hinaus passiert viel spannende Forschung durch eine Verbindung der Daten innerhalb der Infrastruktur, welche überhaupt nur möglich ist, wenn die Forschungsdaten das enge Korsett der eigenen Hochschule verlassen.
Diese drei Schritte, konsequent zu Ende gedacht, bedeuten einen immensen Bedeutungsverlust von lokalen Universitäten. Die Affiliation einer Wissenschaftlerin oder eines Wissenschaftlers trägt zu deren Renommee bei, ist aber für die tatsächliche Durchführung von Wissenschaft nur dort von Bedeutung, wo es um den Zugang zu physischen Forschungsmöglichkeiten wie Laboren, oder den Zugang zu exzellenten Studierenden geht. Hier geraten regional aufgestellte Hochschulen schnell an ihre Grenzen, denn der Wettbewerb um Köpfe und Budgets ist global. Mit der Ausnahme von wenigen spezifischen Forschungsressourcen gibt es aber auch keinen Grund für Forschende, einer Affiliation treu zu bleiben -- Labore und Studierende gibt es überall. Für Hochschulen ergibt sich daraus ein teuflischer Kreislauf in der Wissenschaftskonkurrenz, ohne dass ein positives Ende in Sicht scheint.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen