Mittwoch, 3. August 2022

Deutsche Unis in der Cloud - was muss noch getan werden?

Die beschleunigte Digitalisierung der deutschen Hochschulen und Universitäten in den Jahren 2020/2021, als Reaktion auf die COVID19-Pandemie, wäre ohne die massive Inanspruchnahme von Cloud-Angeboten nicht möglich gewesen. Lehre über Videokonferenzsysteme wie Zoom, digitale Fernprüfungen mit und ohne Proctoring, gemeinsames Arbeiten über Kollaborationssysteme wie Confluence oder Microsoft Teams fanden quasi über Nacht den Eingang in den normalen Arbeitsalltag. In wenigen Wochen passierte mehr Digitalisierung als in den Jahren davor. Cloud-Anbieter wie Zoom, Google, Microsoft eroberten sich Anteile am Digitalisierungsbudget in viel höherem Maße als jemals vorher geplant. Sehr deutlich wurde in dieser Zeit, dass die digitale Welt vor der Pandemie von einer Realität eingeholt wurde, auf welche die doch recht langsam agierenden Universitäten und deren Verwaltungen in ihren Grundstrukturen nicht vorbereitet waren.

Clouddienste erweitern die bisher in den Hochschulen genutzten und meist von den eigenen Rechenzentren angebotenen IT-Dienste. Sie können schnell und dezentral auf den PCs und Notebooks eingerichtet und von den Hochschulangehörigen genutzt werden. Sie führen nicht zur Anschaffung neuer Großgeräte in den Rechenzentren, wohl aber zur Nachfrage nach Unterstützung der Anwenderinnen und Anwender durch das bestehende IT-Personal. 

Eine Nutzung dieser zusätzlichen Optionen, mit denen die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit einer Hochschule verbessert werden soll, ist nur nach grundlegenden, internen Überlegungen möglich. Konnte früher ein Rechenzentrum oder eine IT-Abteilung selbst über die Einführung einer Software entscheiden, so entstehen bei der Nutzung von Cloud-Services strategische Fragen, die nur auf der Ebene einer Hochschulleitung zu klären sind. Die Verlagerung von Teilen der IT-Infrastruktur einschließlich der Datenspeicherung „off-campus“ hat Auswirkungen auf die digitale Souveränität, die Gestaltung von Basisinfrastrukturen oder die Personalentwicklung. Neben neuen Möglichkeiten entstehen unerwartete Abhängigkeiten. Empfehlungen zur konkreten Nutzung von Cloud-Diensten in Hochschulen hat der ZKI e. V. im Jahr 2021 in einem Ergebnisbericht mit konkreten Empfehlungen veröffentlicht. Mit dem Rundschreiben Nr. 26/2021 hat die HRK das Thema aufgegriffen.

Es gibt strategische Fragen, die vor einer Cloudnutzung auf der Ebene der Hochschulleitungen, der CIOs, der Ministerien, Bundesländer HRK grundlegend beantwortet werden müssen. Sie betreffen organisatorische, gesetzliche und finanzielle Rahmenbedingungen.

  1. Digitale Souveränität: Die meisten deutschen Hochschulen betreiben ein eigenes Rechenzentrum. Die Gründe dafür sind vielfältig. Während der Pandemie sind Cloud-Dienste dazu gekommen. Bei Cloud-Diensten wird eine Unsicherheit bezüglich der langfristigen Entwicklung der Lizenzgebühren wahrgenommen, sowie eine Abhängigkeit durch eine zunehmende Integration der Cloud-Dienste in den Betriebsalltag (Vendor Lock-In). Die Hochschulen werden in Zukunft auf politischer Ebene abwägen müssen, ob solche Unsicherheiten und Abhängigkeiten in Kauf genommen werden sollen oder eine Bereitstellung von Diensten im eigenen Rechenzentrum grundsätzlich ein souveräner Weg ist.
  2. Kooperationsstrukturen: Einen Mittelweg zwischen eigenem Rechenzentrum und Cloud-Diensten kommerzieller Anbieter könnten Private Clouds darstellen. Bei diesen könnte es sich entweder um interuniversitäre Angebote über Landesrechenzentren oder um die direkte Erbringung von Diensten zwischen Hochschulen handeln. Die Entscheidung über eine Kooperation wird zum Teil von den Hochschulen selbst, zum Teil mit den Länderministerien im Dialog zu treffen sein. Damit stellt sich auch die Frage nach der institutionellen Gestaltung der Kooperation. Das Bundesland Bayern versucht, durch Gründung eines Digitalverbundes (vgl. Art 6(5) des Hochschulinnovationsgesetzes) diese Kooperation als gesetzliche Aufgabe zu etablieren und die Fragen gemeinschaftlich über alle Hochschultypen hinweg anzugehen.
  3. Steuerliche Aspekte der Kooperation: der Bezug von IT-Diensten unterliegt der Umsatzsteuer, sofern es sich nicht um Wissenschaft handelt. Dies betrifft kommerzielle Cloudangebote (Microsoft 365, Zoom), aber je nach Ausgestaltung auch interuniversitäre Angebote über die o.a. Kooperationsstrukturen. Sofern hier keine steuergesetzliche Vorkehrung getroffen wird, z.B. dass Kooperation zwischen Hochschulen eine öffentliche Aufgabe darstellt, wird ein IT-Dienst über eine Kooperation ggf. bis zu 19% teurer sein als die Erbringung des gleichen Dienstes über ein eigenes Hochschulrechenzentrum.
  4. Beschaffung: die bisherigen Wege der Beschaffung von IT-Diensten sind auf den Betrieb eigener Hochschulrechenzentren ausgerichtet. Im DFG-Programm „Großgeräte der Länder“ werden sie hälftig mit Bundesmitteln bezuschusst. Daher gibt es keine Anreize für die länderfinanzierten Hochschulen, Clouddienste als Ersatz zu betrachten, wenn sie diese voll bezahlen müssen.
  5. Unterstützungsstrukturen: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind daran gewöhnt, bei kommerziellen Rechenzentren, Netz- und Cloudbetreibern 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche Hilfe anfordern zu können. Diese Unterstützung können kleine bis mittlere Hochschulen nicht leisten. Was bedeutet dies für zukünftige Personalplanungen?
  6. Nachhaltigkeit: In zunehmendem Maße muss die eigene IT-Bereitstellung klimatechnisch verbessert werden. Für das Bundesland Bayern hat eine erste Untersuchung einen zweistelligen Millionenbedarf an notwendigen Baumaßnahmen ergeben, um den Klimazielen von Land und Bund bezüglich der bestehenden Hochschulrechenzentren gerecht werden zu können. Sollen diese Investitionen noch getätigt werden, wenn doch „alles in die Cloud geht“?
  7. Die Suche nach gesetzlichen Rahmenbedingungen bezüglich der notwendigen Cloud-Nutzung in einem europäischen, besser innerdeutschen Rechtsrahmen ist offensichtlich. Die Zoom-Bereitstellung des DFN über die Telekom-Cloud zeigt einen innerdeutschen Weg für personenbezogene Daten von Studierenden und Forschenden, die NFDI für Forschungsdaten. Die cloudbasierte Durchführung von Online-Hochschulwahlen ist in vielen Ländern aber noch nicht möglich und Gegenstand laufender rechtlicher Diskussionen.

Mit Blick auf diese Fragen ist es notwendig, die zuverlässige und nachhaltige Bereitstellung von IT-Diensten hybrid zu betrachten und in jede Richtung Voraussetzungen zu schaffen. Ziel muss es sein, aus Steuermitteln aufgebaute und unterhaltene IT-Infrastrukturen für Hochschulen effizient zu betreiben.


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