Von Zeit zu Zeit arbeitet sich die öffentliche Meinung an der angeblichen Praxisferne und der Überbetonung von Rigor über Relevanz in der universitären Lehre ab. Als neuestes Heilmittel werden gerne digitale Badges beworben. Worum handelt es sich dabei, was sind die Argumente der Befürworter und welche Gründe sprechen dagegen?
Digitale Badges sind im Prinzip Zertifikate oder Lernabzeichen, die man für den erfolgreichen Abschluss einer Lerneinheit erhält. Im universitären Alltag des letzten Jahrhunderts könnte man "den Schein" dazu zählen, der nach einer bestandenen Klausur dem Studierenden gestempelt ausgehändigt wurde und am Ende des Studiums in einem kleinen Heft, gestapelt und geheftet mit vielen anderen Scheinen, zum Prüfungsamt getragen und dort gegen ein Abschlusszeugnis eingetauscht wurde. In diesem Jahrhundert werden digitale Badges vor allem im Kontext von MOOCs vergeben, also nach Durchlaufen eines Onlinekurses. Sie können in digitaler Form mit einer Identität des Teilnehmers verknüpft werden, d.h. sie tauchen dann im öffentlichen Profil dieses Teilnehmers auf und können dort als bestätigte Kenntnisse z.B. einem zukünftigen Arbeitgeber präsentiert werden.
Offensichtlich verbirgt sich hier ein Geschäftsmodell, welches z.B. im Kauf von lynda.com durch LinkedIn offenbar wird. Wer ein LinkedIn-Profil besitzt und bei lynda.com kostenpflichtige Prüfungen absolviert, bekommt ein digitales Badge in seinem Profil. Was wiederum einen Anreiz für Arbeitgeber schafft, sich vor Einstellung eines Arbeitnehmers ausgiebig mit dessem LinkedIn-Profil zu beschäftigen und damit für Arbeitnehmer, das LinkedIn-Profil ausgiebig zu pflegen (Eine Ausprägung des Netzwerkeffekts).
Ergebnis: Je mehr Badges, umso besser. Je mehr Badges, die auf eine bestimmte Qualifikation hinarbeiten, umso sinnvoller. Wenn ich eine Menge Badges aus dem Bereich Datenbanken, PHP, Hadoop, Künstliche Intelligenz sammle und vorzeigen kann (die ich mir aus lynda, edX, coursera, udacity, iversity) zusammenhole, indem ich jeweils den besten Kursen folge, zeige ich offensichtlich eine Motivation und inhaltliche Kenntnis in einem speziellen Bereich und arbeite sehr konsequent an meinem Marktwert auf dem Arbeitsmarkt.
Achtung Studis, jetzt wird es klausurrelevant: ist es sinnvoll, ein Universitätsstudium dadurch zu absolvieren, dass man in ähnlicher Weise solange Badges sammelt, bis man den Bachelor oder Master fertig hat? Auf keinen Fall. Würden Sie gerne über eine Brücke fahren, die ein Statiker berechnet hat, der sein Wissen selber aus MOOCs gesammelt hat? Würden Sie sich gerne bei einem Chirurg unters Messer legen, der sein Wissen durch Badges dokumentiert?
Tatsächlich vertrauen wir nicht nur in diesen Fällen nicht den Badges bzw. Kursinhalten. Wir vertrauen der Struktur, dem Studiengang, der das Wissen schrittweise aufeinander aufgebaut hat und eine Systematik in der Wissenserwerb bringt, der einem reinen Badge-System fehlt. Diese Strukturierung kann ich per se nicht dem Lerner überlassen, auch nicht einem Intermediär. Die Hochschulen sind daher gut beraten, sich über die Struktur dem Wettbewerb zu stellen, und ihre Lehrinhalte nicht wahlfrei als Badges zur Verfügung zu stellen. Mit letzterem zeigen sie nur Beliebigkeit.
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