Wenn wir an Universitäten denken, denken wir häufig an Orte: den Campus mit seinen Rasenflächen, die Bibliothek, die Mensa, die Hörsäle. Um Literaturquellen zu beschaffen, gehen wir in die Bücherei. Um Wissen aufzunehmen, gehen wir in den Hörsaal. Um unsere Mitstudierenden zu treffen, verabreden wir uns im Cafe auf dem Campus. Die Universitäten selbst sind mit Orten verknüpft: sie sind benannt nach ihren Orten, die Universität Oxford, Cambridge, München, Paris. Selbst wenn es mehrere Universitäten in einer Stadt gibt, geben wir den Ortsbezug nicht auf. Es gibt 13 staatliche Universitäten in Paris; sie tragen den Namen der Stadt und sind ansonsten durchnummeriert. Die bekannteste ist Paris I (mit dem Beinamen Sorbonne) Können Sie aus dieser Bezeichnung ablesen, durch welchen Forschungsschwerpunkt sie hat? Aber sie können ganz sicher ablesen, in welchem Teil der Welt sie sich befindet.
Eine der wesentlichen Eigenschaften des Konzepts Cloud Computing ist es, den Ortsbezug der Diensterbringung vollkommen in den Hintergrund zu stellen. In welchem Rechenzentrum der Welt genau der über AWS beschaffte Speicher allokiert ist, ist Ergebnis eines technischen Algorithmus, nicht einer bewussten Entscheidung, weder des Diensterbringers noch des Dienstnutzers. Wo die Rechenleistung genau abgerufen wird (und damit auch die energetische Leistung anfällt) ebenso. In der grundlegenden Idee des Konzeptes führt es dazu, dass mit mathematischer Genauigkeit die Nutzung der Cloud-Ressourcen optimiert werden kann. Dies ist ein großer Fortschritt gegenüber einzelnen, örtlich gebundenen Rechenzentren, deren Aufwand für Technik und Personal sowie ökonomische Fixkosten auch dann anfallen, wenn sie nicht vollständig ausgelastet sind.
Cloud-Ressourcen in der wissenschaftlichen IT von Universitäten einzusetzen, ist daher ökonomisch positiv. Aber es nagt an der Ortsgebundenheit, die wir Universitäten ansonsten zuschreiben. Und wir haben auch im Digitalen einiges getan, um diese Ortsgebundenheit aufrecht zu erhalten. Zuallererst definieren wir häufig ein geschlossenes Campusnetzwerk, welches nach außen durch eine Firewall geschützt ist und in dem User mit eigenes erstellten Identitäten und Kennung der Universität auf interne Dienste zugreifen können. Ohne eine solche eigene Kennung erhalten Sie keinen Zugang zu den Lehrsystemen, können keine Bibliotheksdatenbanken durchsuchen und keine Zeugnisse ausdrucken. Falls Sie sich doch einmal geographisch außerhalb des Campus aufhalten sollten? Dann bekommen Sie einen VPN-Zugang, ein Virtual Private Network. Damit können Sie sich von außen in die Universitätsnetze einwählen und so vorspiegeln, als wären Sie geographisch auf dem Campus. Wenn Sie auf diese Weise auf dem Campus sind, erhalten Sie z.B. Zugriff auf die Literaturdatenbanken der Wissenschaftsverlage. Diese diskriminieren den Zugriff durch Geofencing -- sie lassen nur solche Benutzer zu, deren maschinelle Identitäten (IP-Adressen) dem räumlichen zuordenbaren Universitätsnetzwerk entsprechen.
In der Realität des Umgangs mit wissenschaftlichen Daten und Lehrmaterial hat dieser Ortsbezug bereits an Bedeutung eingebüßt, und wird es auch weiter tun. Der Ort, an dem Forschung betrieben oder Lehre durchgeführt wird, befindet sich in einer wissenschaftlichen oder edukativen Wolke. ArXiv als weltweit größte Quelle von Texten, PLos-One als Zeitschrift oder Youtube als Quelle vieler Lehrfilme lassen sich längst nicht mehr einer Universität, noch nicht einmal einer globalen Region zuordnen. Wissenschaft und Lehre finden dort statt, wo Wissen kombiniert und weitergegeben wird. Dafür braucht es keinen konkreten geographischen Ort. Lehrmaterial ist in der Cloud gespeichert, auf verteilten Servern irgendwo in der Welt, auf denen die benötigte, konkrete Instanz von Moodle oder Canvas läuft. Open Science führt als Konzept dazu, dass ohnehin keine Wände mehr rund um Forschungsdaten aufzubauen sind. Lehrende leben auf anderen Kontinenten als die Universität, für die sie ihre aktuellen Vorlesungen anbieten. Studierende, die zunehmend zerrissen werden zwischen den Anforderungen eines Vollzeitstudiums und den ökonomischen Realitäten ihres Alltags, die mindestens einen Nebenjob erfordern, und den sozialen Realitäten, die in einer alternden Gesellschaft die Bürde der Pflege von Angehörigen bei ihnen abladen, sind dankbar für jede Möglichkeit, die zeitliche und örtliche Festlegung einer Universitätsvorlesung digital zu flexibilisieren.
Das ist alles nicht positiv für die Universität als sozialen Raum, als Ort der Begegnung zwischen Menschen, Studierenden, Lehrenden. Es gibt kein Cafe im Cloud Computing, in dem Sie sich verabreden könnten. Es ist weder passend für intensive Gespräche zwischen Lehrenden und Studierenden, noch für die identitätsstiftende Arbeit in naturwissenschaftlichen Laboren, mit der man mühsam die Ergebnisse seiner Doktorarbeit erwirbt. Aber so zu tun, als hätte der Ort der Universität immer noch die gleiche Bedeutung wie Mitte des letzten Jahrhunderts, ist eine Abwehrhaltung, die gegen Windmühlen kämpft.