Freitag, 12. April 2019

Die Playlist der Hochschullehrenden

Die Verfügbarkeit aller Arten von Informationen auf dem Internet bringt uns zu einer neuen Rolle der Professorinnen und Professoren in der Hochschullehre. Sie werden zu vertrauenswürdigen Vermittlern für den Wissenserwerb.

Wenn ich als Professor für Vorlesungen neue Lehrmaterialien vorbereite, suche ich selbstverständlich auch auf dem Internet nach passenden Grafiken, Fallstudien, Videos und anderen Informationen. Es ist immer wieder erstaunlich, welches Material sich dort findet -- es geht von unglaublich gut aufbereiteten Materialien (z.B. den TED-Talks von Hans Rosling, die man nahezu uneditiert und in voller Schönheit übernehmen kann) bis hin zu politisch einseitigen, eingefärbten oder schlicht falschen Informationen. Mit meinem Wissen und meiner Erfahrung nehme ich aus diesem Heuhaufen die fundierten und glaubhaften Medien heraus und präsentiere sie meinen Studierenden in der Vorlesung.

Je mehr externes Material ich in dieser Art einbinde, desto mehr erzeuge ich eine Playlist. In einem früheren Post hatte ich ja schon einmal die Musikanalogie bemüht, hier ist es ähnlich. Meine Studierenden bringen mir als Dozenten eine Art Grundvertrauen entgegen, dass die "Musik", die ich spiele, sie in ihrem Wissenserwerb weiterbringt.

*Früher* war die Dozent*in eine "single source of truth", ein "gatekeeper", der/die exklusive Informationen aus der Welt der Wissenschaft in die Lehrewelt übertrug. Früher war nur meine Musik zu hören, die ich selber gespielt habe. Neben dieser Quelle gab es die Bibliothek, ebenfalls durch eine Gatekeeper*in kuratiert, mit weiterführender Literatur.

Diese Welt hat sich verändert. Ähnlich wie beim Übergang von redigierten Enzyklopädien zur unredigierten Wikipedia muss sich damit auch die Rolle der früheren Gatekeeper verändern. Wir Professor*Innen müssen beim Versuch, unser Wissen zu teilen, ein anwachsendes Grundrauschen gefährlichen Halbwissens übertönen. Von allen Seiten und sogar während der Vorlesung strömen auf unsere Studierenden ungefilterte Musik, Texte und Bilder zu genau den Themen ein, die wir akribisch vorbereitet und sauber mit Zitaten unterlegt lehren wollen.

Was muss ich tun? Meine schöne Musik gegen das immer lautere Rauschen stellen und selber lauter werden, pointierter, meinungsstärker, zugespitzter, damit ich gehört werden? Damit vielleicht weniger ausgewogen und weniger wissenschaftlich? Das kann es nicht sein.

Als meine Aufgabe sehe ich jetzt vielmehr, aus den verfügbaren Musikstücken (= Informationen aus aller Welt) eine Playlist für die Studierenden zusammenzustellen. Diese Playlist ist kuratiert, ihr kann gefolgt werden, sie kann gelikt werden, sie bringt meine Studierenden einem Thema näher -- in einem für sie begreifbaren, natürlichen Prozess, der offensichtlich auch in anderen Bereichen Fuß fasst.

Wir müssen nur das not invented here-Syndrom bewältigen. Das gibt es auch bei Professoren, aber das wird ein anderer Post.

Mittwoch, 10. April 2019

Forschungsdaten und die Rolle kleiner Universitäten

Viele wissenschaftliche Einrichtungen bereiten sich gerade auf die Ausschreibung zur Nationalen Forschungsdateninfrastruktur vor (Mehr dazu gibt es bei der DFG und bei forschungsdaten.org). Es stellt sich aber doch die Frage, was für die kleinen Universitäten in diesem Spiel zu gewinnen und was zu verlieren ist.

Auf der positiven Seite wird eine NFDI den Universitäten Arbeit abnehmen, indem weniger Ressourcendruck in den eigenen Rechenzentren und Bibliotheken erzeugt wird. Derzeit speichern wir alle Forschungsdaten intern ab und benötigen dafür Speicherplatz, den wir vom Sitzland finanziert bekommen. Für DFG-Anträge ist es mittlerweile notwendig, eine Forschungsdaten-Policy abzugeben, aber die dafür notwendige Infrastruktur kann nicht aus dem Projekt bezahlt werden -- sie muss bereits an der Universität vorhanden sein.

Das Bundesland zahlt also diese Informationstechnologie, als Voraussetzung, an der Forschung teilnehmen zu können. Es geht aber wie immer nicht nur um die Hardware. Viel wichtiger für den Umgang mit Forschungsdaten sind die Gewährleistung von Verfügbarkeit, Vertraulichkeit und Integrität der Daten. Dies wird durch mit Personal betriebene IT-Sicherheit des Universitätsrechenzentrums sichergestellt, auch dies eine Infrastrukturaufgabe. Wer Forschungsdaten ablegt, hat auch Fragen und Bedürfnisse: damit braucht es eine Hotline für Forschende, die immer dann arbeitet, wenn auch die Wissenschaftler arbeiten -- also immer...

Wenn die Repositorien in der NFDI also von jemand anders als von uns Universitäten betrieben werden, sparen wir diesen Aufwand und die damit verbundenen Kosten. Da die NFDI-Konsortien sich gerade entlang von Fächern organisieren, können im besten Fall die Fragen und Bedürfnisse der Forscher bezüglich des Umgangs mit dem Repositorium durch Fachwissenschaftler beantwortet werden, was wahrscheinlich inhaltlich besser ist als die Betreuung durch unser technisches Personal.

Gibt es also auch eine negative Seite? Wie immer, ja. Diese findet sich weniger im operativen Umgang, sondern in der Frage der strategischen Behandlung durch die Universitäten.

Durch die Speicherung der Daten außerhalb der Universitäten werden wir den operativen, möglicherweise auch den rechtlichen Zugang zu Forschungsdaten an eine andere Körperschaft übergeben. Zum Einen stellt sich damit die Frage, wer die Früchte der einzelnen Forschungsdaten ernten darf, zum anderen die Nutzungsrechte an dem Repositorium insgesamt.

Ad 1: Während man natürlich immer die einzelnen Forschungsdaten als Urheber selbst verwenden darf, kann es wie bei den Verlagen ein Nutzungs- und Weiterverkaufsrecht geben. Vermutlich wäre dies die Gegenleistung für eine kostenlose Speicherung der Daten im Repositorium.

Ad 2: Weit interessanter wird aber natürlich Big Data. Wir können derzeit nur vermuten, welche Forschungsmöglichkeiten es geben wird, wenn wir sehr viele Forschungsdaten an einem Ort durchsuchbar und aggregierbar machen können. Diese Auswertungsmöglichkeiten werden zu aller erst dem Repositorium und seiner es verwaltenden Organisation offen stehen. Vermutlich ist dies der größte Schatz, den es wissenschaftlich in diesem Bereich zu heben gilt. Wenn Sie eine Max-Planck- oder Helmholtz-Einrichtung sind, welche ein Fachrepositorium betreibt: das ist Ihr Lohn. Wenn Sie eine Universität sind, die Einzeldaten in ein solches Fachrepositorium hochlädt: das wäre Ihr Preis gewesen...

Aber vielleicht kommt alles anders und schlaue HochschulmanagerInnen machen gute Kooperationsverträge...