Dienstag, 17. Januar 2023

ChatGPT und die Folgen für universitäre Prüfungen

Künstliche Intelligenz (KI) ist das aktuelle Schlagwort der Digitalisierung, und die generative KI zur Erstellung von Texten (z.B. ChatGPT), Bildern (z.B. DALL-E) erzeugt die einprägsamsten Ergebnisse für ein breites Publikum. Wie immer bei Software-Innovationen hat die schon länger bestehende Entwicklung der Middleware (OpenAI) mit ihren Data Science-Algorithmen nicht die gleiche mediale Resonanz erfahren, weil sie halt schlechter zu verstehen und zu bebildern ist. Bei generativer KI ist das einfacher, und damit startet die Hypekurve -- von übersteigerten Erwartungen bis hin zu enttäuschten Illusionen.

Für das Bildungswesen stellen die Fähigkeiten der generativen KI, insbesondere bei der Texterstellung, sowohl Risiko als auch Chance dar.  Die Spanne der Unterstützung durch KI ist dabei breit gefächert. Wohl niemand hätte etwas gegen Unterstützung bei der Erstellung einer Gliederung, eines Abstracts, Hilfe bei der Übersetzung in die englische Sprache oder bei der grammatikalischen Fehlerfreiheit eines Textes einzuwenden. Probleme haben wir damit, dass bei der Anfertigung einer Prüfungsleistung (insbesonders als Text: Klausur, Hausarbeit) die Leistung der KI so umfassend ist, dass sie die Eigenleistung des menschlichen Prüflings in den Hintergrund stellt. Wir möchten ja gerne die Einzelleistung des Probanden messen und bewerten!

Solange wir die Leistung des Menschen in einer Kategorie messen, die auch von der Maschine erledigt werden kann, sind wir aber auch selber schuld. Es hat schon seinen Grund, dass wir nach dem Aufkommen des Taschenrechners in den Matheprüfungen der Schule kein Kopfrechnen mehr abfragen. Sowohl in der Vermittlung des Wissens als auch in der Leistungsmessung müssen wir realistisch feststellen, dass sich die Umweltbedingungen geändert haben und eine neue Technologie auf Dauer zur Verfügung steht.

Um es möglichst realistisch und praxisnah zu machen, bereiten wir Studierende in einer Prüfung auf eine reale Situation einer Aufgabenlösung unter Zeitdruck vor: 

  • 1980er: "Meier, kommen Sie bitte fix mal zum Chef und erklären Sie, warum die Buchung so durchgeführt wurde. Sie haben das doch gelernt.". Die logische Prüfungsform dafür ist eine "Closed Book"-Klausur, bei der man ohne Hilfsmittel und nur mit Papier und Bleistift etwas auswendig Gelerntes wiedergeben muss. Warum? Eben weil die Praxis später genau solche Fragen stellt, wie wir sie in der Klausur abfragen.
  • 2000er: "Meier, in zwei Stunden ist die Präsentation beim Vorstand und wir brauchen schnell eine Zusammenstellung mit dem Vorschlag und der Begründung. Schmeissen Sie mal das Internet an und suchen Sie ein paar Quellen." Das ist natürlich eine "Open Book"-Klausur, bei der alle Hilfsmittel zur Verfügung stehen, aber die Lösung aus einer Vielzahl relevanter und irrelevanter Informationen aggregiert, prägnant zusammengefasst und präsentiert werden muss. (Wenn über diese Zusammenstellung hinaus und mit etwas mehr Zeit alle verfügbaren Informationen gesichtet werden und auf dieser Basis eine eigene Idee entwickelt werden soll, sind wir bei der Prüfungsleistung der schriftlichen Hausarbeit oder Abschlussarbeit. Die ist ohnehin schon "open book".)
Wir können vermutlich davon ausgehen, dass ab 2023 nicht mehr nur "das Internet angeschmissen" wird, sondern Herr oder Frau Meier in der betriebswirtschaftlichen Realität der Zukunft eine generative, texterstellende KI wie ChatGPT zur Problemlösung einsetzen wird. Folgerichtig werden wir auch unsere universitären Prüfungen entsprechend anpassen müssen. Nur verbieten führt uns auf jeden Fall nicht in die Zukunft.

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