Donnerstag, 22. September 2016

Open Educational Resources und VG Wort - Wenn zwei sich streiten, freut sich die Uni

Manchmal sind es die kleinen Innovationen, die unbeabsichtigt große Dinge bewirken. Der symbolische Flügelschlag eines Schmetterlings, der viele Äonen später ganze Kontinente verändert. Die Einführung der SMS als Steuerungskanal für Mobiltelefone, der Jahrzehnte später für veränderte Daumenphysiognomie bei Heranwachsenden sorgt.

Nicht jede kleine Innovation ist in ihrer Zeit aber sinnvoll, und manchmal wirkt es auch kontraproduktiv. Nehmen wir einmal das Urheberrecht für gedruckte Materialien, die in der universitären Lehre eingesetzt werden. Nach vielen Jahren der pauschalen Abrechnung von Wissenschaftsministerien mit der Verwertungsgemeinschaft Wort meint diese, jetzt wäre die Zeit gekommen, eine pay-per-use-Innovation einzuführen. In Zukunft soll jede Professorin und jeder Professor beim Hochladen der Unterrichtsmaterialien in das unieigene Moodle-System eine klitzekleine Eingabemaske ausfüllen, damit die VG Wort die korrekten 0.08 EUR für die achtseitige Publikation für 15 Seminarteilnehmer erhält. Ja, wir reden hier über Geldbeträge, die einer wirtschaftlichen Betracht des gesamten Aufwands für den einzelnen Vorgang nicht standhalten. Und wir reden über eine Innovation, die nur für Printmedien gilt, aber nicht für Filme und Töne, da die GEMA weiterhin pauschal abrechnet.

Werden die Professorinnen und Professoren meiner Universität also freudig diese Sonderlocke  der VG Wort mitdrehen und jedes Mal die Eingabemaske ausfüllen? Hm. Wird die VG Wort damit mehr oder weniger Einnahmen als bei der früheren Pauschalabrechnung erzielen? Doppel-Hm. Im Fußball wäre das ein Eigentor. Aber ab dem 1.1.2017 soll es gelten. Und was tun wir jetzt?

Einfach. Was für Universitäten zu tun ist, liegt auf der Hand. In Zukunft werden wir nur noch Unterrichtsmaterialien einsetzen, welche frei von Lizenzgebühren zugänglich sind, für die also keinerlei Gebühren an die VG Wort abgeführt werden. Diese Materialien gibt es zuhauf und sie werden immer mehr. Das MIT stellt Open Course Ware seit 2001 online. Das Bundesministerium für Wissenschaft fordert und fördert die Open-Access-Publikation von Forschungsergebnissen, welche die Grundlage für universitäre Lehre sind. Und im Bereich Open Educational Resources tut sich in Deutschland mittlerweile eine ganze Menge, auch wenn es im internationalen Vergleich etwas gedauert hat.

Kleine Innovation, große Wirkung: welche Effekte sind zu erwarten. Die VG Wort nimmt derzeit jährlich ca. 1,2 Mio. EUR aus Intranetnutzungen an Hochschulen ein. Dieses Geld kann eingespart werden. Die VG Wort bekommt ca. 1 Mio. EUR weniger pro Jahr (bei Einnahmen insgesamt von 140 Mio. EUR verschmerzbar); die Wissenschaftsministerien der Länder können (zusammen!) 1 Mio. EUR mehr in die Unis stecken (also noch nicht mal eine Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters pro Bundesland).

Die Leidtragenden sind die Lehrbuchverlage und die Studierenden. Für Wissenschaftler ist es in Zeiten von "publish or perish" ohnehin kontraproduktiv, Aufwand in die Erstellung (nicht-englischsprachiger) Lehrbücher zu stecken. Der Bärendienst, den die VG Wort den Verlagen dadurch erweist, implizit OER in Deutschland zu pushen, wird die Verlagslandschaft in dem Bereich nachhaltig verändern.



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